15. Oktober 2015, der große Tag war gekommen. Nach mehreren Voruntersuchungen stand nun meine allererste Operation an. Ich finde für die erste Operation in meinem Leben hätte ich mir vielleicht aus mal etwas Kleineres aussuchen können. "Aber, das kann ja jeder“ dachte ich mir. Meine Mutter verbrachte die Nacht gemeinsam mit mir im Krankenhaus. In meinem Krankenbett wurde ich zum OP-Saal geschoben. Meine Eltern waren dabei immer an meiner Seite und begleiteten mich natürlich mit "IA" (Kuschelesel) bis zur Tür. Ich lag im OP-Vorraum und in meinem Kopf drehte sich alles nur um diese eine Operation. Ich würde nach vier Stunden aufwachen, mein Dickdarm wäre weg, die Ärzte würden einen Pouch aus meinem Dünndarm formen, der dann an meinem After angenäht werden würde und für den Übergang hätte ich ca. drei bis vier Wochen einen künstlichen Darmausgang. Es vergingen sieben Stunden bis ich in den Aufwachraum geschoben wurde und konnte dann endlich nach elf langen Stunden von meiner Familie in meinem Zimmer empfangen werden. Ich war unglaublich müde. Dank der vielen Schmerzmittel spürte ich zum Glück nichts. Einen Aspekt spürte ich aber deutlich. Es war das Gefühl von einem großen Loch in meinem Bauch. Ich lag in meinem Bett und schlief. An meinem Fußende saßen noch meine Mutter und Tante, die sich leise im Flüsterton unterhielten und mich immer im Auge behielten bis ich aufgrund der plötzlich, furchtbaren Schmerzen im linken Oberbauch lautt Aufschrie. Kein Schmerzmittel half dagegen und ich bekam Fieber.
Nach zwei Tagen wurden meine Schmerzen nicht weniger und das Fieber stieg immer weiter, sodass mein behandelnder Oberarzt dies nicht mehr auf die lange komplizierte Operation beziehen konnte. Es wurde ein MRT angeordnet, aber es war keine Auffälligkeit zu sehen, bis auf eine tiefe Bauchthrombose. „Diese Thrombose löst aber kein Fieber und keine Schmerzen im linken Oberbauch aus“ so der Oberarzt. Aus diesem Grund hörte der Oberarzt auf sein Bauchgefühl und ordnete eine Notoperation an.
Einige Stunden vergingen und ich öffnete meine Augen auf der Intensivstation wieder. Auf der einen Seite stand mein Vater und auf der anderen Seite meine Mutter und wieder mit dabei mein "IA". Ich konnte mich kaum noch bewegen und alles tat weh. Durch die Notoperation musste meine gesamte Bauchdecke geöffnet werden. Dies war bei der ersten Operation vor zwei Tagen nicht der Fall, da diese laparoskopisch durchgeführt wurde. Aufgrund meiner langen Einnahme von Kortison in Höchstdosis wurde mein Dünndarm porös, sodass es im linken Oberbauch zu einer Dünndarmperforation und einer Bauchfellentzündung kam.
So wie es nach meiner allerersten Operation anfing, so ging es auch weiter. Ich nahm alle Komplikationen mit, die ich mitnehmen konnte. In meinem frisch zusammen gebastelten Pouch, wobei sich die Chirurgen mit Sicherheit ganz viel Mühe gegeben haben, bildete sich eine kleine Fistel. Da der Pouch aus meinem Dünndarm erstellt wurde, trat durch das kleine Fistelloch der produzierte Schleim meines Dünndarmes in den Bauchraum ein. An diese Stelle konnte operativ leider nicht gelangt werden. Die einzige Hilfe war eine Drainage, die durch meine Gesäßmuskulatur bis in meinen Bauchraum geschoben wurde.
Von nun an war ich hinsichtlich der Bewegung an mein Bett gefesselt. Ich hatte Schmerzen von meiner großen Bauchnarbe und an meiner linken Pobacke, wo die Drainage lag. Die Ärzte gaben sich hoffnungsvoll und sagten mir, dass ich in spätestens sieben Wochen die Drainage los werden würde. Aus sieben Wochen wurden 12 Wochen. Da mein Körper diesen Schlauch leid war, sto´ß er ihn ab. Aufgrund der Fistel behielt ich natürlich länger als drei bis vier Wochen mein Stoma. Ich sage nur eins, ich habe dieses Stoma gehasst. Das Stoma wurde falsch angelegt. Anstatt, dass es weit über der Haut stand, hat es sich reingezogen. Dies bedeutete für mich, im Sitzen zu schlafen. Meine derzeitige Stomatherapeutin und meine Mutter versuchten jeden Versorgungswechseln so vorsichtig wie möglich zu machen, da sich bei jedem Wechsel der Versorgung ein Stück Haut mit ablöste. Ihr habt richtig gelesen, meine Mutter und meine Stomatherapeutin haben meine Versorgung immer durchgeführt, da ich nichts mit diesem Ding zu tun haben wollte. Es war aber da, es tat mir weh und machte mir das Leben noch schwerer, als es zu dieser Zeit eh schon war und außerdem sollte das Stoma wieder gehen, sodass ich wirklich kein Interesse an einer Freundschaft hatte.
Der Krankenhauskoller machte sich bemerkbar und ich hatte Sehnsucht nach meinem Pferd Resi (Resümee). Also nahm mich meine Mutter mit ärztlicher Erlaubnis ins Auto und ich durfte endlich wieder mein Pferd sehen und auch fühlen. Resi war schon immer ein Frechdachs und er hat nur Flausen im Kopf. Am liebsten stupste er mir immer in meinen Bauch, um mich zum Spielen zu animieren. Von diesem Tag an, tat er es nie wieder.
Zwölf Wochen sind vergangen und ich kam endlich aus dem Krankenhaus. Damals wog ich nur noch 42 Kilo und hatte einen schlabbrigen Popo. Wisst ihr eigentlich, was für ein Geschenk eine Dusche sein kann? Zuhause angekommen, stand ich gefühlt drei Stunden darunter, da das Duschen aufgrund der ganzen Narben im Krankenhaus nicht möglich war.
Dank meiner Familie und meinen Freunden bekam ich jeden Tag neue Kraft und Energie geschenkt, sodass ich mein Lächeln nicht verlor. Ich war optimistisch, dass sich alles wieder zum Guten wenden und am Ende alles irgendwie einen Sinn ergeben würde. Aber es gab und es gibt sie immer noch. Die Tage, an denen ich alles verfluche und mich frage, warum ich? Was habe ich falsch gemacht? Wieso, weshalb, warum? Dann fließen auch die Tränen und es ist auch gut so, dass es diese Tage gibt. Wenn es diese Tage nicht geben würde, dann wäre es auch nicht richtig!
Operation drei stand vor der Tür und es sollte endlich ein Ende haben. Nach neun Monaten freute ich mich endlich darauf flach in meinem Bett zu liegen und dies ohne Angst zu haben, dass mein Versorgungsbeutel aufgrund meines falsch angelegten Stomas wieder undicht wird. Mein Stoma wurde zurückverlegt und zum Glück hat mir Gott zu meiner Geburt zwei Ohren mit in die Wiege gelegt. Ansonsten hätte ich im Kreis gegrinst. Von nun an begann mein Leben mit meinem Pouch neu. Dadurch bekam ich die Möglichkeit meinen Stuhl bei mir zu halten, bis ich dann entspannt zur Toilette gehen konnte.
Es begann für mich ein neues Leben - ein Leben, in dem ich meinen Körper ganz neu kennenlernen musste. Ich besuchte einen alten Freund aus Kinderzeiten in der Lüneburger Heide. Dort genoss ich das Landleben und in mir kam das Bedürfnis eines Neuanfanges und Tapetenwechels auf. Zum Schrecken meiner Liebsten packte ich meine Sachen, nahm mein Pferd und zog in die Lüneburger Heide. Ich fand einen Job, in dem ich wieder langsam zu arbeiten begann und suchte mir eine kleine Wohnung. Mir ging es gut und ich fing an, mich immer wohler in meinem neuen Zuhause zu fühlen. Natürlich hatte ich Sehnsucht nach meiner Familie und meinen Freunden, aber zu diesem Zeitpunkt war dieser Schritt genau der Richtige für mich, um wieder zu leben. In 2017 lernte ich dann meinen damaligen Freund kennen und zog mit Resi, meinem Pferd zu ihm auf den Hof. Zu Resi gesellte sich mein Pony Nepi (Nepomuk) und neben meiner Arbeit als Physiotherapeutin kam Stallarbeit zu meinem Aufgabenfeld hinzu. Neben den Pferden, versorgte ich die Kälber und lernte auch das Traktor fahren. Ein Leben, welches ich mir immer gewünscht hatte. Mir ging es gut. Bis der Tag kam, an dem ich auf Toilette war, um Pipi zumachen - Ostern 2017.
Meine Mutter war zu Besuch und es war ein schöner Ostertag. Ich kam besorgt von der Toilette und bat meine Mutter um ein Vieraugengespräch. Ich verlor Stuhl über die Scheide.
Im Mai lag ich wieder auf dem Operationstisch mit der Diagnose Pouchvaginalfistel. Meine größte Angst war, dass ich wieder ein Stoma gelegt bekommen würde. Vor allem hatte ich Angst davor, dass sich mein Freund, den ich noch nicht so lange kannte, sich wieder von mir trennen würde. Aufgrund meines ersten Stomas wusste ich genau, was auf einen zukommen würde. Dem war aber zum Glück nicht so. Mein Freund hielt zu mir und sagte: „ob mit oder ohne Beutel am Bauch, das ändert nichts an dir und du bist und bleibst meine Alisa“.
Nach der Operation bin ich aufgewacht und hatte zum Glück kein Stoma. Mit einer speziellen Technik haben die Ärzte versucht die Fistel zuschließen. In diesem Moment ist mir ein risieger Stein vom Herzen gefallen. Zwei Tage nach der Operation wurde ich wieder dahin geschoben.
Da ich diese Operationen in einem Essener Krankenhaus durchführen ließ, in dem auch die ersten OP´s stattfanden, begleiteten meine Eltern mich wieder mit "IA" zu jeder OP.
Ich entschied mich für die Entfernung der Pouch, um mir ein endgültiges Stoma anlegen zu lassen. Mein Schließmuskel wurde erhalten, sodass ich eventuell mein Stoma irgendwann wieder zurückverlegen lassen könnte.
Seit diesem Tag sitzt mir treu an meiner linken Seite mein "Kumpel" und begleitet mich durchs Leben.
Heute sag ich, dass ich dankbar für meinen "Kumpel" bin. Durch ihn habe ich meine Lebensqualität zurückgewonnen und kann für mich ein einigermaßen normales Leben führen. Natürlich gibt es Tage, an denen wir uns gar nicht verstehen und hassen, ich ihn beschimpfe und mir zum Heulen zu Mute ist.
Nach der endgültigen Stomaanlage in 2018 blieb ich Zuhause, sammelte dank meiner Tiere wieder Kräfte, besuchte eine Reha und machte Pläne für meinen beruflichen Neustart. Ich spezialisierte mich auf das Thema Beckenboden und machte eine Ausbildung zur Reittherapeutin. Ich fing langsam wieder an zu arbeiten, bekam wieder Lebenslust und eine ganz neue Lebensqualität. Die Beziehung zu meinem Freund ging in die Brüche und ich zog mit meinen beiden Pferden und meinen zwei Hunden aus und begann einen privaten Neustart.
Anfang des Jahres lernte ich eine neue Liebe kennen. Natürlich bekam ich Bauchschmerzen bei dem Gedanken, wie er reagieren würde, wenn ich ihm von meiner Krankengeschichte erzähle und er von meinem "Kumpel" erfährt. In unseren gemeinsamen Gesprächen fiel mir jedoch auf, dass kein Mensch auf der Welt perfekt ist und jeder seine Päckchen zu tragen hat und so findet dann am Ende jeder Topf seinen Deckel.
Dank meiner Familie, meiner Freunde, meines "Kumpels" und meiner Tiere sitze ich jetzt hier, wo ich sitze. Ich arbeite von montags bis freitags in einer 30 Stundenwoche. Daneben mache ich kleine und große Spaziergänge mit meinen Hunden, gehe zu meinen Pferden und reite diese sogar wieder. Vor allem habe ich wieder Spaß mich zu bewegen. Das Schönste ist, dass ich an manchen Tagen all die schlimmen Sorgen an dieses große, tiefe Loch vergesse, da ich es wieder geschafft habe auf meine grüne, bunte Wiese zu klettern. Natürlich sehe ich noch dieses Loch und manchmal nähere ich mich diesem auch noch an. Im Großen und Ganzen kann ich heute aber sagen, dass die Operation 2018 für mich die richtige Entscheidung war und dass ich mich dank meines "Kumpels" wieder wohlfühle.
Wenn ich jetzt hier in meiner Stube sitze, aus dem Fenster in die Sonnenstrahlen schaue, meinen Hunden beim Schnarchen zuhöre, weiß ich, dass alles im Leben irgendwann ein Sinn ergibt. Diesen Sinn erkennen wir manchmal erst nach einer langen, schwierigen Reise und dann sind wir selbst gefragt, was wir daraus machen.
Bis dahin eure Alisa